Leichtathletik

Robert Harting: "Leistung bei uns schon fast so verkommen, dass man sich schämen muss"

Ex-Diskuswerfer Robert Harting sieht Reformbedarf in der deutschen Leichtathletik. Er ist bereit, an einem Neustart mitzuarbeiten. Denn die Ergebnisse der letzten großen Meisterschaften waren eher enttäuschend. Ein Gastkommentar.

Robert Harting zu aktiven Zeiten im Diskusring
Credit: Imago
  • Robert Harting über Zustand der deutschen Leichtathletik
  • Ex-Diskuswerfer Harting: Talsohle wird erst 2028 erreicht
  • Harting: "Für Leistung muss man sich fast bei uns schämen"

Bei den letzten Olympischen Spielen in Tokio 2021 gab es noch drei deutsche Leichtathletik-Medaillen – Gold für Weitspringerin Malaika Mihambo, Silber für Kristin Pudenz (Diskuswurf) und Jonathan Hilbert (50 km Gehen). Vergangenes Jahr die Nullnummer bei der WM in Budapest. Und bei der EM in Rom – die Ergebnisse waren solide – hat man gesehen: Die Athleten müssen nur spüren, dass die Menschen an sie glauben.

Was können wir nun für die Spiele in Paris in diesem Sommer erwarten? Wenn man den Medaillenspiegel als Referenz für Erfolg nimmt, würde ich mich sehr wundern, wenn wir viel besser abschneiden würden als bei den letzten olympischen Großereignissen – wobei ich mich natürlich sehr freuen würde, wenn ich falsch liegen würde. Ich denke, dass wir erst 2028 wirklich die sportliche Talsohle erreichen werden. Das wären noch vier weitere Jahre, bis wirklich alle verstanden haben dürften, dass es an der Zeit ist für tiefgreifende Makroveränderungen.


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Robert Harting: Nachwuchs das Leistungsprinzip vorleben

Im Moment steht die deutsche Leichtathletik in ihrer Gesamtstruktur dort, wo sich der olympische Sport im Allgemeinen befindet. Mir fehlt die Selbsterkenntnis, dass wir eine Politik der Ideologie betreiben, die sich sehr stark an Minderheiten, an den Schwächen orientiert. Das ist zwar moralisch begrüßenswert und grundsätzlich zu würdigen – aber sich um die Schwachen zu kümmern darf dabei auch nicht ausschließen, dass wir ebenso die Stärksten fördern.

Wenn wir jetzt zum Beispiel die Bewertungen bei den Bundesjugendspielen abschaffen wollen, geht das für mich in die falsche Richtung. Wie in jedem Bereich der Gesellschaft muss man auch im Sport dem Nachwuchs das Leistungsprinzip näherbringen, man muss es vorleben und der gesamten Gesellschaft den Sinn aufzeigen, welch positive Veränderungen man als Mensch durch den Sport erlebt.

Denn es sind oft nicht die Talentiertesten, die die größten Erfolge haben, sondern die, die am härtesten dafür arbeiten. Leistung ist bei uns schon fast zu etwas verkommen, für das man sich schämen muss, wenn man darüber auf der Straße spricht. Wer sagt denn heute noch, dass man der Beste sein will?

Robert Harting: Strukturen im DLV verschlanken

Sport steht für ein Zusammengehörigkeitsgefühl, er setzt genau die Trigger, aus denen heraus auch eine Sportökonomie entsteht. Das sehen wir etwa in den USA. Dort investieren Wirtschaftsunternehmen in den Sport, um so in die Communitys zu kommen. Aus Markensicht – und ich arbeite mit Sportlern und Marken zusammen – ist so ein Community-Branding extrem wichtig.

Die Sportökonomie, wie sie im Fußball vorhanden ist, fehlt mir in der Leichtathletik. Eine Goldmedaille bei Olympia wird mit 20.000 Euro belohnt, der EM-Titel im Fußball dagegen mit 400.000 Euro. Das erklärt sich natürlich aus dem wirtschaftlichen Erfolg des Fußballs: Dort, wo Geld vorhanden ist, steigen die Belohnungssätze für die Athleten exponentiell.

Wir können froh sein, dass es die Förderung in der Leichtathletik überhaupt gibt. Aber Fakt ist, dass 60 bis 70 Prozent der Fördergelder, die wir haben, für die Strukturen im Leistungssport ausgegeben werden. Strukturen, die in der Leichtathletik nachweislich keine Medaillen mehr produzieren.

Was ist zu tun? Wir müssen den Apparat verschlanken, digitalisieren, auch Leistungsparameter auf der Ebene der Sportführung einführen. Ich stünde bereit, daran mitzuarbeiten, dass sich in der deutschen Leichtathletik etwas verändert. Am besten sollte man das im Team angehen, als Doppelspitze oder Triumvirat. Eines ist klar: Auch im Sport ist es Zeit für eine Zeitenwende.



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