Boxen

Cindy Ngamba: Vom Flüchtlingskind zur dominanten Olympia-Boxerin

Cindy Ngamba hat mit Sports Illustrated gesprochen, die bei den Olympischen Spielen 2024 für das IOC Refugee Olympic Teams antritt. Bei uns erzählt sie, wie sie vom schüchternen Flüchtlingskind zu einer der besten Boxerin der Welt wurde. 

Cindy Ngamba
Credit: Nike

Cindy Ngamba musste ihr Heimatland Kamerun im Alter von elf Jahren verlassen und ging nach Großbritannien, wo sie zu mit ihrem älteren Bruder bei ihrem Vater und ihren Halbgeschwistern aufgewachsen ist. In Bolton lernte sie Englisch und die machte die Erfahrung von Diskrimierung.

Mit 19 Jahren wurde Cindy Ngamba in Abschiebehaft genommen. Eine Ausweisung aus Großbritannien konnte aber im letzten Moment verhindert werden. Obwohl sie bereits lange Zeit in England lebt, besitzt sie keinen britischen Pass. Cindy Ngamba ist aber als Flüchtling anerkannt. 

Nach Kamerun zurück kann sie nicht, weil Homosexualität in ihrer Heimat strafrechtlich verfolgt wird

Sports Illustrated: Was bedeutet der Boxsport für Sie? Was fühlen Sie, wenn Sie in den Ring steigen? 

Cindy Ngamba: Der Boxsport gibt mir Ruhe und ermöglicht es mir, meine Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Als ich nach Großbritannien kam, war ich sehr schüchtern und in mich gekehrt. Ich bin zwar immer noch eher zurückhaltend, aber im Boxring kann ich eine Seite von mir zeigen, die man von mir sonst nicht so oft zu sehen bekommt. Der Boxsport hat mir zu einer Karriere verholfen, die es mir ermöglicht hat, viele Ziele zu erreichen und viel über mich selbst zu lernen. Auf dem Weg vom Teenager zur Erwachsenen habe ich Unvorstellbares erreicht.  

Sports Illustrated: Sie haben im Alter von 15 Jahren mit dem Boxen begonnen, was im Vergleich zu den Kämpferinnen, mit denen Sie sich messen, als relativ spät erscheint. Erzählen Sie mir von Ihrem Weg zum Boxen: Was hat Sie dazu bewogen, erstmals einen Fuß in ein Boxgym zu setzen? Beschreiben Sie Ihren Werdegang im Boxen. Und wer waren Ihre wichtigsten Mentoren? 

Ngamba: Seit ich klein war, war ich immer sehr sportlich. Als ich mit 15 Jahren mit dem Boxen anfing, war das keine allzu große körperliche Herausforderung für mich. Die größte Herausforderung war das Erlernen der technischen Aspekte des Boxens, wie Momentum, Beinarbeit, Hand- und Armhaltung und Schlagvarianten. Beim Boxen geht es nicht nur darum, am härtesten zuzuschlagen, sondern auch darum, clever zu sein und einen Plan zu haben. Dazu gehört es, den Gegner zu studieren, mehrere Strategien zu entwickeln (Plan A, Plan B, Plan C) und sich auf Schlüsselaspekte des Sports zu konzentrieren. Wie jede andere Sportart erfordert es Verständnis und Adaption. 

Cindy Ngamba
Credit: Nike
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Sports Illustrated: Haben Sie Vorbilder?  

Ngamba: Mein Mentor ist seit meinem 15. Lebensjahr mein Trainer, Dave Langhorn. Er ist immer noch an meiner Seite, auch wenn er jetzt im Ruhestand ist. Ich scheine ihm jedes Mal das Leben schwer zu machen, wenn ich in den Ring steige. Es ist lustig, denn er hat meinen letzten Kampf vor der Olympiaqualifikation gesehen. Er schaut immer auf die Details und sagt Dinge wie: "Das hättest du besser machen können" oder "Du hättest fallen können". Ihm scheint nicht klar, dass ich mich bereits qualifiziert habe. Aber das ist das Schöne daran, einen Trainer der alten Schule zu haben. Er sorgt immer dafür, dass man für jeden Fehler, den man macht, bezahlen muss, also muss man auf der Hut sein. Ich schätze das, weil es mich wachhält und verhindert, dass ich es mir zu bequem mache. Nur weil ich mich qualifiziert habe, heißt das nicht, dass ich obenauf bin. Ich bin immer noch eine Boxerin, die sich verletzen und in gefährliche Situationen geraten kann, deshalb muss ich immer aufmerksam bleiben. Mein Trainer, Dave Langhorn, ist meine rechte Hand – mein Box-Dad. 

Sports Illustrated: Sie sind das erste Team-Mitglied der Olympic Refugee Foundation (ORF), das sich sportlich für die Olympischen Spiele qualifiziert hat, und die erste ORF-Boxerin, die an den Spielen teilnimmt. Wie fühlt es sich an, eine Vorreiterin zu sein? Und sehen Sie sich selbst als solche? 

Ngamba: Ich hoffe, dass ich, wenn ich zu den Olympischen Spielen fahre, ein Vermächtnis hinterlassen und sagen kann, dass ich der erste Flüchtling war, der sich für die Olympischen Spiele qualifiziert hat, und hoffentlich der erste Flüchtling, der bei den Olympischen Spielen eine Medaille gewinnt. 

Sports Illustrated: Sie sind dreimalige britische Meisterin in drei unterschiedlichen Gewichtsklassen? Wie groß ist Ihre Enttäuschung darüber, immer noch nicht für Großbritannien – das seit fast 15 Jahren Ihre Heimat ist - auf der internationalen Bühne antreten zu dürfen? 

Ngamba: Ich vertrete die Millionen von Flüchtlingen in der Welt, die eine große Familie sind. Ich fühle mich vor allem durch das Flüchtlingsteam identifiziert. Wir 36 Athleten, die in Paris antreten werden, müssen für unseren Platz kämpfen – so wie wir es immer getan haben. 

Cindy Ngamba
Cindy Ngamba
Credit: Nike
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Sports Illustrated: Wie eng sind Ihre Bindungen zu Ihrem Geburtsland Kamerun? Haben Sie dort noch Familie oder sind Ihre Verwandten alle mit Ihnen nach Großbritannien gekommen? 

Ngamba: Ich würde nicht sagen, dass ich Kamerun sehr nahestehe, aber meine Familie bedeutet mir die Welt. Alle meine Familienmitglieder sind Kameruner, auch wenn viele mittlerweile in Großbritannien leben. Und in den Ferien fahre ich oft nach Paris, vor allem zu Weihnachten, um dort meine Mutter, meine Tante und meinen Onkel sowie meine Nichten und Neffen zu besuchen. Ich bin jetzt Tante von neun Kindern. Es ist lustig, weil ich selbst noch so jung aussehe, und auch ein bisschen gewöhnungsbedürftig, wenn mich einige meiner Nichten und Neffen "Tante Cindy" nennen. Aber das zeigt nur, dass ich vor nicht allzu langer Zeit einmal ein Kind wie sie war. In meiner Familie gibt es viele Vermächtnisse von Kamerunern, und das ist für mich das Schöne daran. 

Sports Illustrated: Bitte beschreiben Sie Ihren Boxstil: Wie haben Sie es geschafft, in so kurzer Zeit so viele britische Titel zu gewinnen? Was macht Sie als Kämpferin besonders und gefährlich?  

Ngamba: Wenn die Leute mich ansehen, sehen sie jemanden, der nett und ruhig ist und andere gerne zum Lachen bringt. Ich komme mit jedem aus, unabhängig von dessen Persönlichkeit. Da ich aus einer großen Familie mit etwa (?) 20 Geschwistern komme, die alle unterschiedliche Persönlichkeiten haben, habe ich gelernt, mich anzupassen. Aber wenn ich in den Ring steige, ist das eine ernste und professionelle Angelegenheit. Die Leute bemerken den Unterschied zwischen meiner normalen Persönlichkeit und meiner Persona als Boxerin. Es ist ähnlich wie bei der Arbeit, wo man professionell und förmlich sein muss. Außerhalb der Arbeit kann man dann fröhlich und entspannt sein. Im Ring konzentriere ich mich auf den Kampf und versuche, meine Gegnerin zu besiegen, während sie das Gleiche mit mir versucht. Aber nach dem Schlussgong umarmen wir uns, lächeln und gehen vielleicht sogar noch zusammen essen. Es ist verrückt, aber genau das ist das Schöne daran. Innerhalb des Rings geht es hart zu, außerhalb des Rings fröhlich. Im Ring aber versuchen sie, mir das zu nehmen, was ich will, und ich werde es ihnen nicht geben. 

Sports Illustrated: Welche Ziele haben Sie sich für die Olympischen Spiele in Paris gesetzt? 

Ngamba: Ich strebe die Goldmedaille an und arbeite hart und smart daran, dieses Ziel auch zu erreichen. Durch Gott und meine harte Arbeit glaube ich, dass ich es schaffen kann. 

Sports Illustrated: Was sind Ihre Ziele - im Boxen und außerhalb des Boxens? 

Ngamba: Mein Ziel ist es im Moment, mich auf die Gegenwart zu konzentrieren. Meiner Auffassung nach, sollte man sich nicht zu sehr mit der Zukunft oder der Vergangenheit beschäftigen. Im Moment ist es mein Ziel, an den Olympischen Spielen teilzunehmen, gesund zu bleiben und meine Kämpfe zu gewinnen. 

Sports Illustrated: Das olympische Boxen ist immer noch reine Amateursache. Werden Sie nach den Spielen Elite-Amateurin bleiben oder ins Profiboxen wechseln? Wenn ja, welche Gewichtsklasse würden Sie dort bevorzugen? 

Ngamba: Viele Amateurboxer, die sich für die Olympischen Spiele qualifizieren und über ihre nächsten Schritte entscheiden, stehen vor dieser Frage. Mein Hauptaugenmerk liegt im Moment auf den Olympischen Spielen, aber als Mensch kann ich nicht anders, als über meine Zukunft nachzudenken. Ich möchte irgendwann Profi werden, aber im Moment ist mein Hauptziel Olympia. Natürlich wird meine Entscheidung auch von den Möglichkeiten abhängen, die ich danach bekomme. 



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