Fußball

Eric Cantona: "Soziale Medien sind so schlimm wie Alkohol und Zigaretten"

Eric Cantona gehört zu den begnadetsten und exzentrischsten Fußballern aller Zeiten. Im Sports-Illustrated-Interview spricht er über Musik, Kunst, Erziehung, seine Kindheit – und warum er heutzutage kein Fußballer mehr sein möchte.

Eric Cantona
Credit: Getty Images
  • FußballEric Cantona im exklusiven Interview 
  • Cantona über Kunst, soziale Medien und Ford-Partnerschaft
  • Cantona: "Fußball und Musik sind gute Vorbilder für Gesellschaft"

SPORTS ILLUSTRATED: Tippt man im Internet „Eric Cantona“ ein, erscheinen viele Bezeichnungen: Fußballer, Schauspieler, Künstler, Sänger, sogar Philosoph. Was beschreibt Sie im Jahr 2024 am besten?

Eric Cantona: Ich bin jemand, der die Welt und die Menschen um mich herum beobachtet. Auf dieser Grundlage kreiere ich dann meine eigene Welt für mich selbst. Dafür brauche ich Freiheit. Und ich bin jemand, der sich ausdrücken möchte. Ob es dann letztlich Kunst ist oder nicht, das ist subjektiv und liegt im Auge des Betrachters. Meine Großmutter war zum Beispiel der Meinung, dass Pablo Picasso kein Künstler gewesen sei und selbst Dreijährige seine Werke hätten erschaffen können.

SPORTS ILLUSTRATED: Als Fußballer jedenfalls sind Sie neben Ihrem Talent vor allem durch Ihr Charisma und Ihre Authentizität bekannt. Glauben Sie, dass ein Spieler wie Sie in der heutigen kommerzialisierten Fußball- Welt überhaupt noch existieren könnte?

Cantona: Das Fußball-Business begann noch während meiner Karriere. Ich habe den Anfang also miterlebt und denke deshalb, dass es für mich heutzutage zumindest in diesem Punkt wohl nicht anders wäre als früher.

SPORTS ILLUSTRATED: Aber …?

Cantona: Ich glaube, ich könnte und möchte kein Fußballer in der heutigen Welt der sozialen Medien sein. Jeder spricht dort über jeden und jenes. Ich klinge vielleicht wie ein alter Mann, aber für mich sind die sozialen Medien eine Illusion. Sie sind nicht die Realität. Es ist wie eine Sucht, eine Droge, von der Menschen nicht wegkommen. Sie sind meiner Meinung nach genauso schlimm wie Alkohol oder Zigaretten.

Hochgestellter Kragen, Nummer 7: Im Trikot von Manchester United verbrachte Eric Cantona die erfolgreichste Zeit seiner Karriere
Hochgestellter Kragen, Nummer 7: Im Trikot von Manchester United verbrachte Eric Cantona die erfolgreichste Zeit seiner Karriere
Credit: Getty Images
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SPORTS ILLUSTRATED: Wirklich?

Cantona: Lassen Sie es mich so erklären: Dürfen Spieler vor dem Spiel in der Kabine ein Glas Whiskey trinken? Dürfen sie rauchen? Nein, natürlich nicht. Warum dürfen sie also fünf Minuten vor dem Spiel noch am Handy hängen? Ich glaube, dass es deshalb auch für Trainer heutzutage sehr schwer ist, das zu kontrollieren.

SPORTS ILLUSTRATED: Luciano Spalletti, der italienische Nationaltrainer, verbot seinen Spielern während der Europameisterschaft 2024 beispielsweise die Handynutzung während Physio-Behandlungen…

Cantona: Wenn ich Trainer wäre, würde ich genau solche Regeln aufstellen.

SPORTS ILLUSTRATED: Nun sind das Entwicklungen der letzten Jahre, in denen Fußballer zusehends auch ihre anderen Interessen neben dem Sport öffentlich teilen. Nicht selten werden Spieler jedoch genau deswegen kritisiert: Sie sollten sich mehr auf Fußball konzentrieren. Wie wichtig ist es Ihrer Meinung nach, Leidenschaften neben dem Sport zu pflegen?

Cantona: Ich habe es geliebt und liebe es immer noch, hart zu arbeiten. Aber manchmal musste ich frei sein. Ich wollte ausgehen, mich mit Freunden treffen, den Kopf frei kriegen. Wir Menschen müssen manchmal abschalten und etwas Abstand zu manchen Dingen gewinnen, das ist wichtig. Mit den sozialen Medien und dem Smartphone klappt das nicht. Damit kapselt man sich nur komplett von allem ab.

SPORTS ILLUSTRATED: Dieses Thema scheint Ihnen sehr wichtig zu sein …

Cantona: Ja, denn es geht hier auch um Erziehung. Ich lebe mit meiner Familie in Lissabon. An einem Abend war ich mit meinen Kindern am Strand, während die Sonne unterging. Es war so ein wundervoller Anblick, über das Meer hinwegzuschauen. Da tippte mich mein damals neunjähriger Sohn an und zeigte auf ein Paar mit mehreren Kindern an einem Tisch. Alle schauten in ihre Handys, und mein Sohn sagte, wie schade es doch sei, dass sie gar nicht sähen, wie schön dieser Sonnenuntergang sei. Wir haben als Eltern eine große Verantwortung, denn Kinder sind letztlich oft nur Opfer ihrer Eltern.

SPORTS ILLUSTRATED: Ihr Vater war zum Beispiel Maler. Wie hat Sie Ihre eigene Erziehung und Kindheit in Marseille als Mensch und als Künstler geprägt?

Cantona: Wenn ich mit meinem Vater Zeit verbrachte, gab er mir Farbe, ein paar Tipps, und ich durfte selbst malen. Ich habe es geliebt. Aber vor allem hat er mir den Blick für die Kunst und Schönheit dieser Welt beigebracht: für Farben, Lichter – oder einfach nur für den beeindruckenden Anblick einer Berglandschaft. Er war und ist ein Träumer, ein Poet. Wir waren eine simple, arbeitende Familie mit sehr viel Liebe. Dafür bin ich sehr dankbar.

SPORTS ILLUSTRATED: Als Sechsjähriger begannen Sie auch mit dem Fußball. Wie wurden Sie mit dem Sport groß?

Cantona: Wir wuchsen alle damit auf, dass es ein offener Sport ist. Die besten Spieler Frankreichs wie Raymond Kopa, Michel Platini oder Zinédine Zidane haben alle einen Migrationshintergrund. Wir sind es gewohnt, dass Fußball verbindet. Wir spielen zusammen, wir genießen zusammen, gewinnen und verlieren zusammen, wir jubeln und weinen zusammen. Das ist wundervoll – und erinnert mich immer an Musik. Denn wie beim Fußball werden in der Musik viele verschiedene Dinge kombiniert und kommen zu einem großen, schönen Ganzen zusammen. Ich glaube, die Grundzüge von Fußball und Musik sind gute Vorbilder für unsere Gesellschaft.

SPORTS ILLUSTRATED: Sie arbeiteten als Werbegesicht für verschiedene Marken. Erst vor Kurzem warben Sie in einem Clip für Autohersteller Ford und den neuen Ford Capri. Wie wichtig ist Ihnen Nachhaltigkeit?

Cantona: Wenn ich mit einer Marke zusammenarbeite, muss es einfach passen. Ford hat mir von Anfang an die Möglichkeit gegeben, mich authentisch auszudrücken und mir eine Menge gestalterischen Spielraum gelassen. Das ist mir wichtig. Der Capri war zu meiner Zeit bei Manchester United in England schon ein ikonisches Auto, weswegen ich sofort eine Verbindung zu diesem Modell hatte. Dass es jetzt als E-Auto zurückkommt, finde ich großartig. Ich denke hier an meine Kinder und die folgenden Generationen. Nachhaltigkeit ist für mich unumgänglich.

Seine unvergleichliche Art macht Eric Cantona zu einem beliebten Werbegesicht, wie hier kürzlich für den Autohersteller Ford.
Seine unvergleichliche Art macht Eric Cantona zu einem beliebten Werbegesicht, wie hier kürzlich für den Autohersteller Ford.
Credit: PR
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SPORTS ILLUSTRATED: Sie engagieren sich zudem für gemeinnützige Projekte und stellten 2015 sogar einer Flüchtlingsfamilie ein Haus zur Verfügung. Woher kommen diese Hilfsbereitschaft und das soziale Engagement?

Cantona: Meine Großeltern väterlicherseits kommen ursprünglich aus Sardinien. Um Arbeit zu finden, wanderten sie nach Frankreich aus. Die Vorfahren meiner Mutter kommen aus Spanien. Mein Großvater kämpfte im Spanischen Bürgerkrieg und später gegen die Franco-Diktatur an. Dieser Teil meiner Familie floh später zu Fuß über die Pyrenäen nach Frankreich – wo sie zwei Jahre lang in einem Flüchtlingslager lebten. Ich habe also die Geschichte meiner Familie und wo ich herkomme nicht vergessen. Leider tun das manche Menschen.

Zu Eric Cantona:

Der Enkel von Einwanderern aus Spanien und Sardinien wurde 1966 in Marseille geboren. Seine Karriere startete er bei AJ Auxerre und wurde dort zum französischen Nationalspieler. Schon früh zeichnete sich Cantona durch ebenso grandiose Auftritte wie Allüren aus. Bei seinem Nationalmannschaftsdebüt erzielte der Stürmer direkt ein Tor, wurde jedoch bereits mit 22 Jahren vom französischen Verband für ein Jahr gesperrt, nachdem er den damaligen Nationaltrainer Henri Michel öffentlich beleidigt hatte. Nach verschiedenen Stationen in Frankreich kündigte Cantona 1991 sein Karriereende an. Kurz zuvor hatte sich der damals 25-Jährige eine zweimonatige Sperre eingebrockt, nachdem er einem Schiedsrichter den Ball an den Kopf geworfen hatte. 1992 wechselte er nach England zu Leeds United und wurde in seiner Premierensaison Meister. Cantona zog weiter zum Topklub Manchester United, wo er unter Sir Alex Ferguson in fünf Jahren viermal Meister wurde, zu einer Kultfigur und einem der besten Spieler seiner Zeit avancierte. Unvergessen: 1995 trat Cantona bei einem Spiel gegen Crystal Palace in Kung-Fu-Manier einen Zuschauer, nachdem dieser ihn rassistisch beleidigt hatte. Der Stürmer wurde für acht Monate gesperrt. 1997 beendete er seine Karriere. In der Folge konzentrierte sich Cantona auf seine anderen Leidenschaften: Schauspiel, Musik, Malerei und Philosophie. Er veröffentlichte zahlreiche Filme sowie ein Musik-Album.



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