Tour de France

André Greipel: "Natürlich habe ich mitgefühlt, wenn es Jan Ullrich schlecht ging"

Radprofi André Greipel zählte bis 2021 zu den besten Sprintern der Welt. Im Interview mit Sports Illustrated spricht der 39-jährige Rostocker über die Tour de France, seinen Wunschsieger, die Angst vor Stürzen und Ex-Radstar Jan Ullrich. 

Ex-Radprofi André Greipel
Credit: Getty Images
  • André Greipel im Sports-Illustrated-Interview
  • "Greipel hat mitgefühlt, wenn es Jan Ullrich schlecht ging
  • Tour de France: Greipel wünscht sich Roglič-Sieg

Sports Illustrated: Die Tour de France ist in Kopenhagen gestartet worden. Ist das der richtige Weg, um die Internationalisierung des Rennens voranzutreiben?

André Greipel: Der Radsport ist ein globaler Sport und die Tour de France ist das zweitgrößte Sport-Event weltweit. Deshalb finde ich es gut, dass das bedeutendste Radrennen der Welt auch in anderen Ländern als in Frankreich gestartet wird.

Sports Illustrated: Sie waren ein absoluter Topsprinter. Hatten Sie vor dem Start der Tour de France einen flauen Magen?

Greipel: Ich war zum Glück immer bestens auf die Strapazen der Tour de France vorbereitet. Wenn man als Radprofi gut in Form ist, hat man auch keine Angst vor der Tour. Natürlich weiß man, was einen bei der Tour de France erwartet. Gerade in meiner Gewichtsklasse – und während der Tour denkt man sich, was zum Himmel mache ich hier? Aber dann ist die Tour vorbei und eine Woche später denkt man sich. OK, nächstes Jahr bin ich wieder dabei.

Sports Illustrated: Wie viel Respekt hatten Sie als Sprinter vor den Bergen?

Greipel: Ich bin immer anders an die Tour de France herangegangen. Ich hatte nie Angst vor einer Etappe. Respekt ja, aber ich konnte an meiner Tagesform ohnehin nichts ändern. Ich habe die Tage und die Etappen immer so genommen, wie sie waren. Dann habe ich versucht, das Beste draus zu machen.

Sports Illustrated: Sie stammen aus Rostock. Wie sind Sie zum Radsport gekommen?

Greipel: Ich habe den Radsport als Jugendlicher kennen- und lieben gelernt. Ich habe damals alles Nachwuchsklassen durchlaufen und war im Nachwuchsteam von Jan Ullrich. Wenn man nach oben kommen möchte, hängt viel davon ab, welche Trainer man hat. Das ganze Umfeld muss stimmen. Ich war immer ein sehr professioneller Fahrer und habe den Radsport so ausgeübt, wie er mir beigebracht wurde. Deshalb habe ich den Weg bis nach oben geschafft.

André Greipel
André Greipel
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Sports Illustrated: Wann war klar, dass Sie Sprinter werden?

Greipel: Das hat mein Trainer damals im ersten Training gesehen, dass ich schnelle Muskelfasern und das Zeug zum Sprinter habe.  Man kann Talent haben, aber dieses Talent muss auch gefördert werden. Ansonsten bringt das nichts. Zusammen mit meinem Trainer haben wir immer daran gearbeitet, dass ich noch schneller werde.

Sports Illustrated: Wie kam Ihr Spitzname "Gorilla" zustande?

Greipel: Bei meinen Rennen in Australien habe ich diesen Namen von den Medien verpasst bekommen. Dort hat jemand gesagt, schaut mal, der sieht aus wie ein Gorilla und ist genauso muskulös. Seit dieser Zeit wurde ich „Gorilla“ genannt.

Sports Illustrated: Wie viel Angst hatten Sie als Sprinter vor Stürzen?

Greipel: Wenn man als Sprinter Angst vor Stürzen hat, ist man falsch am Platz. Natürlich spielt das Adrenalin eine große Rolle. Aber für mich war das immer wie Tetris spielen. Am Ende passt man durch die Lücke oder nicht, wenn alle mit der gleichen Geschwindigkeit dem Ziel entgegenschießen. Deshalb hatte ich keine Angst. Aber natürlich haben alle Sprinter Respekt. Ich habe immer versucht, meinen Plan umzusetzen. Das ist mir meist gelungen.

Sports Illustrated: Jan Ullrich kommt wie Sie aus Rostock. War er damals ein Vorbild für Sie?

Greipel: Ja, natürlich. 1997 hat ganz Deutschland vor dem Fernseher gesessen und Jan Ullrich die Daumen gedrückt. Aber mein großes Vorbild war Olaf Ludwig, der mich zu Beginn meiner Karriere sehr inspiriert hat.

Sports Illustrated: Wie haben Sie in der schweren Zeit von Jan Ullrich mitgefühlt?

Greipel: Natürlich fühlt man mit, wenn man sieht, dass es Jan Ullrich schlecht geht. Das war ein Rattenschwanz, der nicht enden wollte. Die Medien sind dabei auch nicht ganz unschuldig gewesen. Wenn man jeden Morgen in den Schlagzeilen liest, wie mies man ist und dass man alles falsch macht, kann es sein, dass man sich irgendwo vergräbt und in ein dunkles Loch fällt. Ich habe sehr für ihn gehofft, dass er da wieder rauskommt. Ich freue mich, dass es ihm jetzt wieder besser geht.

André Greipel und Jan Ullrich 2016
André Greipel und Jan Ullrich 2016
Credit: Imago
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Sports Illustrated: Jan Ullrich hat damals um den Tour-Sieg gekämpft. Wie stehen die Chancen der deutschen Radfahrer in diesem Jahr?

Greipel: Ich denke, dass sein deutscher Etappensieg bei der Tour de France durchaus realistisch ist. Natürlich haben wir keine Topsprinter mehr wie Marcel Kittel oder John Degenkolb mehr, die bei den Tour-Etappen um den Sprintsieg mitfahren können. Wir waren aus deutscher Sicht damals etwas verwöhnt, als wir mit fünf bis sieben Etappensiegen nach Hause gefahren sind. Jetzt müssen wir froh sein, dass es einer wird.

Sports Illustrated: Sie sind seit 2022 Sportlicher Leiter bei „Rund um Köln“. Wie kann man den Radsport in Deutschland voranbringen?

Greipel: Dafür müssen wir den Nachwuchs besser fördern und wir brauchen die Medien, die über die Radrennen berichten. Die Zentralisierung des Leistungssports an die Olympiastützpunktstellen hat sehr wenig gebracht. Diese Maßnahme hat kleinere Vereine kaputtgemacht und somit auch Radrennen, weil die Radrennen mit den Vereinen verschwunden sind. Das ist traurig.

Sports Illustrated: Die Schere bei den TV-Geldern geht zugunsten des Fußballs immer weiter auseinander. Wie sehr tut Ihnen das als Ex-Radprofi weh?

Greipel: Es muss sich etwas ändern, das ist ganz klar.  In Deutschland haben wir nur noch drei große Radrennen. Wenn man dem Nachwuchs keine Rennen bietet, wo man am Fernseher mitfiebern kann, dann wird es schwer, Kinder für unseren Sport zu begeistern. Radsport ist ein Sport zum Anfassen. Man kann nah bei den Radfahrern sein. Ich denke, wenn die Kinder bei einem Straßenrennen sehen, wie die Rennfahrer an ihnen vorbeifahren, dann kann das eine tolle Inspiration und Motivation sein.

Sports Illustrated: Sie waren Dritter bei der Straßen-WM 2011 und haben unzählige Etappen bei der Tour de France, beim Giro und bei der Vuelta gewonnen. Was war Ihr schönster Sieg?

Greipel: Ich hatte viele tolle Momente in meiner Karriere. Radsport ist ein fantastischer Sport, bei dem man unfassbar viele schöne Momente erleben kann. Ebenso wie negative Momente. Aber diese Erinnerungen bleiben für immer. Radsport ist eine Charakter-Sportart. Man muss in seiner Karriere lernen, mit guten und mit schlechten Momenten umzugehen. Dabei muss man sich selbst treu bleiben.

Sports Illustrated: Muss man im Radsport mehr Einzelkämpfer oder Teamplayer sein?

Greipel: Man muss im Radsport Teamplayer sein, egal ob man Kapitän oder Wasserträger ist. Radsport ist eine Mannschafts-Sportart. Ohne die Unterstützung meiner Teamkollegen wäre ich sicherlich nicht so weit gekommen.

Sports Illustrated: Inwieweit kann eine Marke wie Ryzon den Radsport unterstützen?

Greipel: Man erlebt im Radsport unfassbar viele schöne Momente, egal ob man Profi oder Freizeitfahrer ist. Ryzon versucht Community-Rides auf die Beine zu stellen. Die Art und Weise, wie sie produzieren, und anders an die Sache herangehen wie andere Marken, ist sehr schön. Ich freue mich, dass ich ein Teil davon sein kann.

Sports Illustrated: Wer gewinnt die Tour de France in diesem Jahr.

Greipel: Ich hoffe, dass Primož Roglič bei der Tour de France triumphiert. Es wäre schön für den Radsport, dass mal jemand anderes gewinnt als Tadej Pogačar.

 

Zur Person: André Greipel gehörte in seinen 17 Jahren als Radprofi zu den besten Sprintern der Welt. Der gebürtige Rostocker holte 158 Siege, absolvierte 1404 Radrennen und gewann elf Etappen bei der Tour de France. Nach seinem Karriereende 2021 wurde er Markenbotschafter für Ryzon.

André Greipel
André Greipel
Credit: Ryzon
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